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Das geteilte Berlin aufbauen_L

Berlin war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine geteilte Stadt und etwa 28 Jahre lang durch eine Mauer geteilt. Eine bedrohliche, befestigte Grenze mitten in einer Stadt scheint ein erhebliches Hindernis für die weitere Entwicklung ihrer bebauten Umwelt zu sein. Doch nicht nur wurde von 1961 bis 1989 auf beiden Seiten der Berliner Mauer weiter gebaut, sondern die Teilung förderte die Entwicklung sowohl direkt als auch indirekt.

Wie also  gingen  die Beamten auf beiden Seiten vor, um eine halbe Stadt zu bauen? Was folgt, ist ein Überblick über die architektonische Entwicklung in Ost- und Westberlin, der zeigt, in welchem ​​Ausmaß die Mauer vielleicht weniger eine Trennlinie als vielmehr ein „Reißverschluss“ war, um es mit den Worten des ostdeutschen Dichters Lutz Rathenow auszudrücken: „Der Kitt, der ganz Berlin zusammenhielt.“ (1)

Westberlin, Hauptstadt ohne Land

Nachdem die ersten Pläne für den Wiederaufbau Berlins, die 1946 von einer Stadtplanungskommission unter Leitung des Architekten Hans Scharoun ausgearbeitet worden waren, aufgegeben worden waren, ergriffen die Machthaber auf beiden Seiten der Ost-West-Grenze Berlins separate Baupläne nur für die von ihnen kontrollierten Stadtteile.

Im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg spielten die alliierten Streitkräfte, insbesondere die USA, eine führende Rolle bei der Unterstützung und Leitung des Wiederaufbaus West-Berlins. Mittel aus dem von den USA initiierten Marshallplan wurden ab 1948 verwendet, um die Kosten für Gebäude wie den Büro- und Einkaufskomplex in der Nähe des Berliner Zoos (Paul Schwebes und Hans Schoszberger, 1955–57) sowie die internationale Bauausstellung Interbau zu finanzieren, die den Wiederaufbau des Hansaviertels vornahm und 1957 eröffnet wurde. Die USA schenkten der Stadt auch eine Reihe von Gebäuden, darunter die Kongresshalle (Hugh Stubbins, 1955–58) und die America Memorial Library (Fritz Bornemann und Willy Kreuer, 1951–55). Der schrille, modernistische Stil dieser Gebäude sollte dem Osten und der Welt die Botschaft vermitteln, dass West-Berlin trotz seiner Teilung eine kosmopolitische, internationale und wohlhabende Stadt war.

Von den 1950er bis in die frühen 1960er Jahre konzentrierte sich die Bebauung in den zentralen Bezirken auf den Tiergarten, einen großen öffentlichen Park in der Nähe des Brandenburger Tors. Neben den Projekten in der Nähe des Berliner Zoos und im Hansaviertel wurden südlich des Parks Scharouns Berliner Philharmonie (1960–63) und Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie (1965–68) gebaut. Dieses als Kulturforum bekannte Gebiet sollte Berlins historische Kulturzentren, die Museumsinsel und Potsdam, ersetzen, die ab 1961 Teil Ostberlins waren.

In den 1960er Jahren wurde in Westberlin auch viel in weiter entfernten Bezirken gebaut, da die Gebiete im ehemaligen Zentrum der Stadt ab 1961 in der Nähe der Mauer lagen und daher für Bewohner und Bauträger weniger attraktiv waren. In solchen Bezirken wurden große Wohnprojekte errichtet, darunter Gropiusstadt (Beginn 1962) im äußersten Süden des Bezirks Neukölln und das Märkische Viertel (Beginn 1963) im äußersten Nordwesten des Bezirks Wittenau.

Im Laufe der 1960er Jahre wurden Investitionen in Westberlin für Bauträger immer unattraktiver. Die Stadt lag nicht nur abgelegen in Ostdeutschland, sondern die Baukosten in Westberlin waren auch höher als in Westdeutschland. Tatsächlich mussten Baumaterialien importiert werden, da Westberlin weiterhin eine besetzte Stadt und kein offizieller Teil Westdeutschlands war. Da sich die Bauträger in diesen Jahren auf Neubauten in den Außenbezirken konzentrierten, verfielen die Gebäude in zentralen Bezirken wie Kreuzberg und Wedding dem Verfall. In vielen Fällen wurden Gebäude ganz oder teilweise abgerissen, was manchmal als „zweite Zerstörung“ bezeichnet wird – die erste Zerstörung war natürlich das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs.

Ab Anfang der 1970er Jahre begannen Hausbesetzer, die verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum suchten, illegal Gebäude zu besetzen. Bis September 1982 gab es in insgesamt neun der zwölf Westberliner Bezirke besetzte Wohnungen. (2) Hausbesetzungen prägten in diesen Jahren das städtische Umfeld Westberlins nachhaltig.

Gropiussstadt-Komplex in West-Berlin, Blick auf die Fritz-Erler-Allee vom Dach des Ida Wolf-Hauses. Foto: Willy Pragher, 14. Mai 1981. Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg

Als in den 1980er Jahren Bilder von mit Bannern geschmückten besetzten Häusern die westdeutsche Presse füllten, machten sich die Beamten Sorgen um den Ruf Westberlins, insbesondere angesichts der Bedeutung der Stadt als Symbol des Kalten Krieges. Um das Image aufzupolieren, versuchten die Stadtplanungsbeamten, den Ruhm der Nachkriegsjahre wiederherzustellen und prestigeträchtige Architektur mit einer weiteren internationalen Bauausstellung, ähnlich der Interbau, nach Westberlin zurückzubringen. Die Ausstellung, bekannt als IBA, fand 1987 statt und führte zum Bau von Gebäuden in Westberlin, die von berühmten Architekten entworfen wurden, darunter Peter Eisenman und Rem Koolhaas’ Office for Metropolitan Architecture.

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Checkpoint Charlie Apartments in Westberlin, entworfen von Rem Koolhaas‘ Office for Metropolitan Architecture für die IBA (Internationale Bauausstellung). Foto: Arbalete, 2005–07.

Ostberlin, Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik

Ostberlin wurde bei der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR oder Ostdeutschland) im Oktober 1949 zur Hauptstadt erklärt. Daher stand Ostberlin im Gegensatz zu seinem westlichen Gegenstück immer im Mittelpunkt nationaler Entwicklungspläne und war während der gesamten Zeit der Teilung ein offiziell anerkanntes Zentrum der Aktivität, Aufmerksamkeit und Investitionen. So war Ostberlin beispielsweise der Standort der ersten großen Nachkriegsentwicklung: der Wohnkomplex entlang der Stalinallee, der zwischen 1950 und 1953 errichtet wurde.

Die frühen 1960er Jahre waren in Ostdeutschland eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs und architektonischer Experimente, da der nominelle Vorwand für die Zensur – die offenen Grenzen Berlins und Deutschlands – nach Ansicht der Regierungspartei durch die Schließung der Grenzen im Jahr 1961 „gelöst“ worden war. Die darauf folgenden architektonischen Experimente führten in diesem Jahrzehnt zum Bau einer Reihe markanter neuer Gebäude in Ostberlin, insbesondere entlang der Stalinallee (1961 in Karl-Marx-Allee umbenannt). Dazu gehörten das Konferenzzentrum Haus des Lehrers (1962–1964) und der Fernsehturm (1965–1969), beide von Hermann Henselmann entworfen, sowie das Kino International (1961–1963) und das Hotel Berolina (1961–1963), beide von Josef Kaiser entworfen. Diese Gebäude waren Teil eines Plans, Ostberlin zu einer großartigen und eindrucksvollen Hauptstadt zu machen, die sowohl die Überlegenheit Ostdeutschlands demonstrieren als auch das „andere“, nicht zur Hauptstadt gewordene Berlin in den Schatten stellen sollte.

Von Josef Kaiser und seinem Kollektiv entworfene Gebäude in Ost-Berlin: Kino International, 1961–63, eine Eisdiele (Mokka-Milch-Eisbar, 1961–64) und das Hotel Berolina, 1961–63. Foto: Puhlmann, 31. August 1967. Bundesarchiv

Die Zeit der Offenheit und Experimentierfreude Anfang der 60er Jahre war allerdings nur von kurzer Dauer. Bis zum Ende des Jahrzehnts verfolgte die ostdeutsche Regierung einen Kurs der „radikalen Standardisierung“ mit dem Ziel, immer schneller und billiger zu bauen und so den landesweiten Wohnungsmangel zu bekämpfen. 1971 wurde Ostdeutschlands erster Staatschef Walter Ulbricht abgesetzt und unter großem Tamtam durch Erich Honecker ersetzt. Das Kernstück von Honeckers neuem Politikplan war ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm , das den Bau von Millionen von Wohneinheiten versprach und so bis 1990 den anhaltenden Wohnungsmangel lösen sollte. Um dieses Problem anzugehen, setzten die ostdeutschen Beamten noch stärker auf billige, schnelle Fertigbauweise. Wohnprojekte aus diesen sogenannten „Plattenbauten“ wurden in immer größerem Maßstab errichtet, die größten davon befanden sich in Ost-Berlin, das größte davon in Marzahn, das Ende der 70er Jahre begann und schließlich aus Zehntausenden von Wohnungen bestand.

Das symbolträchtigste Gebäude, das das ostdeutsche Regime in Ostberlin errichtete, war jedoch der Palast der Republik (Heinz Graffunder und Kollektiv, 1973–76). Der Palast im historischen Zentrum Berlins vereinte Kunst- und Unterhaltungsmöglichkeiten (ein Avantgarde-Theater, Restaurants, eine Bowlingbahn und eine Diskothek) mit einem Versammlungssaal für das parlamentarische Organ des Landes, die Volkskammer . Der Palast war in nahezu jeder Hinsicht eine Ausnahme innerhalb der ostdeutschen Architektur. Als einzigartiges Prestigegebäude wurde es mit minimaler Vorfertigung und ohne Kostenersparnis errichtet. Es repräsentierte das Regime und die ostdeutsche Nation, wurde aber auch von der Bevölkerung sehr geschätzt.

Der Palast war in vielerlei Hinsicht wie Ostberlin selbst. Das Regime versuchte, die idealisierteste, utopischste Vision dessen zu verwirklichen, was das Land sein könnte, eine Vision, die außerhalb des Gebäudes oder der Hauptstadt unerfüllbar war. Tatsächlich konnte sogar innerhalb des Palasts und Ostberlins die Vision einer – wie ein ehemaliger Bürger es nannte – „erträumten“ Ostdeutschlands (3) nur durch physischen und psychischen Zwang aufrechterhalten werden, ein Kontrollsystem, das mit dem Sturz des Regimes 1989 zusammenbrach.

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Hauptfoyer des Palastes der Republik, Ost-Berlin, 26. Juni 1976. Foto: Jürgen Sindermann. Bundesarchiv

Die Mauer als Architektur

Die Berliner Mauer selbst war in vielerlei Hinsicht das Bauwerk, das Berlin während der Teilung prägte. Die Mauer – eigentlich aus zwei Mauern bestehend, die durch einen sogenannten Todesstreifen getrennt waren  dominierte physisch die zentralen Gebiete des geteilten Berlins und prägte die physische Entwicklung auf beiden Seiten, insbesondere in den ihr am nächsten gelegenen Gebieten, sowie die Stadtplanung, unabhängig davon, ob sich diese Pläne auf die historischen Grenzen oder nur auf Ost- oder Westberlin bezogen.

Die Infrastruktur der Mauer, die sich nur wenige Meter innerhalb Ostdeutschlands befand, wurde im Laufe der 1960er, 70er und 80er Jahre mehrmals umgebaut und modernisiert. Von einer groben Konstruktion aus Schlackensteinen in den frühen 1960er Jahren entwickelte sie sich Ende der 1970er Jahre zu einer Betonbarriere mit glatter, weißer Oberfläche. Im Westen des Kalten Krieges waren Bilder der Berliner Mauer in den westlichen Massenmedien zu finden, insbesondere um 1961, als sie erstmals errichtet wurde, und wieder in den 1980er Jahren, als sich die Oberfläche der westlichsten Mauer mit Graffiti zu füllen begann. Die Mauer und ihre Graffiti definierten das geteilte Berlin in der Vorstellung der westlichen Öffentlichkeit als Bastion der Freiheit und als Ort eines überschwänglichen und sogar respektlosen offenen, demokratischen Dialogs.

In Ostdeutschland jedoch erfüllte die Mauer eine ganz andere Funktion. Die Ostdeutschen sahen natürlich nur die östlichste „Hintermauer“, die bis in die 1980er Jahre makellos weiß blieb. Für sie war die Mauer eine düstere Erinnerung an die Unterdrückung durch das ostdeutsche Regime, und manche fanden die Graffiti auf der Westseite geschmacklos. Marianne Birthler, ein Mitglied des ostdeutschen Widerstands, kommentierte beispielsweise 2011: „Wir konnten nicht verstehen, warum jemand einen Galgen bemalen wollte.“ [4]

Das ostdeutsche Regime seinerseits ignorierte die Mauer bei der Planung Ostberlins und betrachtete die ehemalige Sektorengrenze als seine endgültige Grenze. In Westberlin war die Frage, ob man sich bei der Stadtplanung der Mauer stellen oder sie berücksichtigen sollte, in den 1980er Jahren heiß diskutiert: Sie zu ignorieren wurde als gleichbedeutend mit ihrer Akzeptanz angesehen, doch 30 Jahre nach ihrem Bau schien es sinnlos, einen Plan für ganz Berlin zu erstellen. Letztendlich machte die Entscheidung der Ostdeutschen, die Grenze zu öffnen, die Frage hinfällig. Der Bau der heutigen Hauptstadt Deutschlands begann 1990 ernsthaft und dauert bis heute an.

Hinweise

1. Harald Hauswald und Lutz Rathenow,  Ost-Berlin: Leben vor dem Mauerfall , 6. Aufl. (Berlin: Jaron Verlag, 2014), 151.

2. Drucksache80 / Große Anfrage der Fraktion der SPD über Sachstand der Lösungsbemühungen des Konfliktes um die besetzten Hauser, 6. September 1982, S. 3, Instandbesetzer (1983/84): A 163 / GV 111, STERN-Archiv, Baukunstarchiv, Akademie der Künste, Berlin.

3. Stefan Wolle,  Die heilige Welt der Diktatur: Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989  (Berlin: Links Verlag, 1998), 46.

4. Birthlers Kommentare wurden im Rahmen der Diskussion im Anschluss an „  Aufstieg und Fall der Berliner Mauer: Perspektiven auf die Mauer 50 Jahre nach ihrem Bau“ gemacht , einer Präsentation von Frau Birthler und Prof. Hope Harrison, die am 9. November 2011 vom Institut für Europäische, Russische und Eurasische Studien der George Washington University veranstaltet wurde.

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